Johannes Rave
Zehn preiswerte Ratschläge eines chinesischen Gelehrten
Text des Künstlers zur Ausstellung Rafi-Rave der Ausstellungsreihe Lokal-Global in der Galerie im Thalhaus, Wiesbaden, im April 2000, kuratiert von Marie Pittroff und Peter Herrmann, und der Ausstellung Über-Blick in der Galerie Peter Herrmann im Juli 2000 und April 2001 in Berlin Wie ich an anderer Stelle schon ausgeführt habe, habe ich mich malerisch in den letzten Jahren mit dem Schatten beschäftigt. Der Schatten eines Gegenstandes besitzt oft eine seltsame Form, die zwar ein unmittelbares Abbild der Wirklichkeit darstellt, zugleich diese aber auch verfremdet.
Mit den Schatten-Bildern bot sich mir die Gelegenheit von der abstrakten zur
gegenständlichen Malerei zurückzukehren, wobei es nun möglich wurde,
in dem Maße konkret zu werden, in dem Schatten immer konkret sind,
ohne gleichzeitig die Abenteuerlichkeit der gegenstandslosen Malerei zu verlieren.
Die einzelnen Zyklen dieser Arbeit waren in den letzten Jahren in verschiedenen Galerien und Kunstvereinen zu sehen. Auch die Doppelung bzw. das Zusammensetzen eines Bildes aus zwei oder mehr Teilen ist für mich seit Jahren ein Thema.
Ich habe es eingesetzt, um zu zeigen, daß es immer verschiedene Perspektiven gibt,
und daß etwas, obwohl ein und dieselbe Sache, für jeden Betrachter anders aussehen kann.
Ins Malerische übertragen, kann sich die Farbe und/oder Form verändern.
Ich habe dieses Prinzip beibehalten, zumal ich finde, daß die Unterschiedlichkeit
der Perspektive eher bereichernd als reduzierend ist.
Ein Thema, mit dem ich mich immer wieder beschäftigt habe, ist die Frage nach dem Subjektiven im Gegensatz zum Objektivierenden in der Kunst.
Man kann fast alles, was an Kunst produziert wird, einem dieser beiden
Ansätze zuordnen. Der subjektive Maler spricht über sich selbst und genügt sich darin;
ein Beispiel wäre Picasso. Picasso mag Frauen und Stierkämpfe, also malt er Frauen und Stierkämpfe.
Der objektivierende Künstler will etwas über die Welt sagen.
Beuys wäre ein Beispiel, der in Plastiken, Zeichnungen und Installationen zeigt, welche Kräfte die Welt bewegen und welche geistigen Ereignisse in ihr geschehen.
Ich wußte immer das selbstbewußte Auftreten eines hemmungslos subjektiven Malers zu schätzen, obschon sich die Frage stellte, ob dies nun alles sei.
Umgekehrt faszinierten mich Weltentwürfe, konnten mich aber auch ärgern oder langweilen, wenn ich sie mir unwichtig oder zu konstruiert erschienen.
In meiner eigenen Arbeit blieb ich bei mir und vermied objektivierende Ansätze,
zumal das, was ich über "die Welt" herausgefunden hatte, recht bescheiden war.
Dennoch hatte ich den Wunsch, einmal etwas mehr zu sagen, als immer nur vom Eigenen zu erzählen.
Vor einigen Monaten ergab es sich, daß ich zu dem Gedanken geführt wurde,
das eine zu tun, und das andere nicht zu lassen.
Ich beschloß, am Beispiel einiger Gegenstände, die eine besondere Bedeutung für mich haben, weil sich eine Wahrnehmung an ihnen erklärt, oder weil sie von biographischer Relevanz sind, ein paar Gedanken herauszuarbeiten, die vielleicht bedingt verallgemeinerbar sind.
Ich malte die Schatten von Gegenständen, mit denen ich eine Erkenntnis verbinde - dies sind die "Zehn preiswerte Ratschläge eines chinesischen Gelehrten". |
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1 Lebenskraft Vor ein paar Monaten bekam ich von einem Freund, der Hausmeister bei einer Behörde ist, allerlei ausrangierte Sachen überlassen.
Er fragte mich auch, ob ich von den abgeschnittenen Pflanzenteilen, die er auf den Müll werfen wollte, etwas brauchen könnte. Es war von einer von den Pflanzen, die in Amtsstuben und Rathausgängen dafür bestraft werden, daß sie so widerstandsfähig sind. Da sie zudem reichlich wuchsen, schnitt mein Freund immer wieder Seitentriebe ab. Diese hatten nun schon einige Zeit in einem blauen Sack zugebracht. Irgendwie taten sie mir leid, und ich nahm ein paar Triebe mit. Ich versuchte, sie weiter zu verschenken, aber niemand wollte sie haben. Also lagen sie bei mir im Atelier mal in dieser dunklen Ecke, mal in jener herum.
Nach ein paar Wochen schaute ich sie mit genau an und bemerkte, daß die Pflanze keinerlei sichtbare Mangelerscheinungen zeigte. Meine bisherige Gleichgültigkeit schlug in Bewunderung um. Was für eine Lebenskraft! Ich pflanzte die Triebe ein und gab ihnen einen besonders schönen Platz. Da freuen sie sich nun des Lebens und treiben erneut aus.
Der chinesische Gelehrte sagt:
"Man muß an das Leben glauben. Besonders an das eigene." |
2 Konzentration
Das Bild zeigt einen Kopfhörer. Das besondere am Kopfhörer ist, daß er dazu zwingt, sich auf das zu Hörende zu konzentrieren - und dann hört man deutlich mehr.
Der chinesische Gelehrte rät:
"Konzentriere dich auf das, was du gerade tust."
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3 Phantasie
Auf der Such nach der konkreten, unbestechlichen Linie habe ich im letzten Jahr Drähte und Kabel gespannt und angeleuchtet, und die Schatten, die sie warfen, abgezeichnet. Die Drähte habe ich geformt, damit sie im Bild Assoziationen hervorriefen.
Der chinesische Gelehrte sagt:
"Gelegenheit macht Diebe. Man muß seiner Phantasie die Möglichkeit geben, sich zu entfalten." |
4 Freundschaft Meine Lieblingsbeschäftigung ist Reisen. Vor einigen Jahren besuchte ich Jordanien, wo ich einen Beduinen mit Namen Haroun kennen lernte, den ich bald überaus schätzte. Von ihm bekam ich die alte Teekanne, deren Schatten ich malte.
Die Teekanne ist im übrigen von sich aus schon ein Symbol für Freundschaft.
Der chinesische Gelehrte sagt: "Wenn du immer noch nicht weißt, was und wofür Freundschaft ist, dann wirst du es auch von mir nicht erfahren." |
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5 Frische
Ich hatte einmal eine, im Sommer ziemlich warme, Dachgeschoßwohnung. Also kaufte ich mir einen kleinen Tischventilator.
Der chinesische Gelehrte sagt:
"Bewahre einen kühlen Kopf. So denkt der lieber."
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6 Respekt
Ich habe viele Reisen nach Afrika und Asien unternommen. Immer wieder neu war ich fasziniert von den Kulturen, die ich kennen lernte. Seltsamerweise erscheint es mir so, als würde ich, je mehr ich mich in eine andere Kultur vertiefe, ihrer Fremdheit bewußt. Vielleicht wird die Ferne in der Nähe erst deutlich. Schließlich bleibt meist ein stiller Respekt vor dem Anderen.
Ich habe im Laufe der Zeit auch eine Sammlung von Skulpturen erworben. Den Schatten einer meiner liebsten Skulpturen habe ich hier gemalt.
Der chinesische Gelehrte nimmt erfreut den Respekt, den wir vor ihm haben, zur Kenntnis.
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7 Bescheidenheit
Zu meinen Großeltern mütterlicherseits hatte ich von Kind auf ein gutes Verhältnis. Sie wohnten in Heidelberg, oben auf einem Berg, mit Blick über die Stadt. Mein Großvater war ein erfolgreicher Kaufmann. Die letzten zwei Jahre ihres Lebens waren beide schwer krank. Meine Eltern pflegten sie. Kurz vor ihrem Tod wollte mir meine Großmutter das Haus vererben. Sie war sehr wach und sagte, ich sei ein Künstler, und daß das schwer sei, und daher sollte ich das Haus bekommen. Ich sagte, es sei nicht nötig, denn eigentlich sollten es meine Eltern erben und die bekamen es dann auch.
Ich erbte dafür das Jugendstil- Kuchengabel - Set, das ich gemalt habe.
Es war nicht wirklich bescheiden, wie der chinesische Gelehrte erkannte: "Sei, wenn schon nicht immer, so doch im richtigen Moment bescheiden. Das erspart Ärger."
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8 Selbstvertrauen
Im letzten Jahr war ich einmal in einer Schaffenskrise. Ich trieb viel Sport, anstatt zu malen, vor allem spielte ich Fußball. Als ich einmal den Ball aus dem Gebüsch hinter dem Tor holte, fand ich ein seltsames eisernes Teil, das zu einer alten Maschinen gehören mußte. Keiner konnte sagen, wofür es gut war, und so wollte ich es gerne behalten. Während das Fußballspiel weiter ging, kam ich zum Schluß, daß dieses Ding mir die Inspiration geben würde, die mir fehlte.
Dann gab es ein starkes Gewitter. Wir verließen fluchtartig den Platz, um nicht vom Blitz getroffen zu werden. Das geheimnisvolle Teil ließ ich im Gebüsch, um es später zu holen. Ich trank ein Bierchen und noch mal eins und vergaß das Ding. Daheim fiel es mir ein, und nun erschien es mir erst recht unersetzlich. Ich glaubte nun fest, daß meine Inspiration an diesem Ding hing, und so fuhr ich am nächsten Tag vierzig Kilometer weit, um es aus dem Gebüsch zu holen. Es war nicht mehr da. Ich war nun überzeugt, daß sich die Welt verschworen hatte, damit ich es nicht bekäme, und somit auch zu keiner Inspiration. Eine Woche später übergab mir ein Kamerad das Ding. Er hatte es mitgenommen, als er sah, daß ich es vergessen hatte. Die Geschichte hätte nun ein Ende gefunden, wenn ich irgend etwas mit diesem Ding hätte anfangen können.
Tatsächlich steht es aber seitdem auf meinem Schrank, es gefällt mir auch immer noch, aber der chinesische Gelehrte sagt: "Vertraue auf dich selbst. Es ist schöner, über sich selbst zu stolpern, als über irgendwelche Dinger." |
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9 Verschwiegenheit
Ich habe einen Patenonkel, der einmal in Bagdad war, als ich noch ein Kind war. Er brachte mir ein Kästchen mit, daß nur durch einen bestimmten Trick zu öffnen war. Mein Onkel zeigte mir, wie es ging, und ich hätte es nun am liebsten allen Freunden gezeigt, die es auch nicht heraus bekommen hatten. Irgendwie schaffte ich es, das Geheimnis für mich zu bewahren.
Der chinesische Gelehrte sagt:
"Man muß etwas für sich bewahren können."
Anm.: Bekanntermaßen sind alle Chinesen Materialisten. Gelehrte ganz besonders. Daher habe ich der Seriosität halber den Zusatz:"Insbesondere gilt dies für Schatzkästchen, -truhen und Tresorkombinationen" aus dem Protokoll streichen lassen.
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10 Sehnsucht
In meiner Jugend gab es ein Phase, in der ich nur noch an fremde Länder dachte. Ich baute eine Art große Schachtel um mein Bett herum, und beklebte sie von oben bis unten mit Bildern von Palmenstränden mit hübschen Mädchen, die über diese Strände rannten, oder sich auf ihnen sonnten. Ich glaube, mittlerweile habe ich einen Großteil der Länder gesehen, von denen ich damals träumte.
Der chinesische Gelehrte sagt:
"Besser du verfolgst deine Träume, als daß deine Träume dich verfolgen.
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Zehn preiswerte Ratschläge eines chinesischen Gelehrten
1999 / 2000. Öl und Acryl auf Leinwand und Holz. 75 x 72 cm |
1 Lebenskraft |
verkauft |
2 Konzentration |
verkauft |
3 Phantasie |
verkauft |
4 Freundschaft |
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5 Frische |
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6 Respekt |
verkauft. |
7 Bescheidenheit |
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8 Selbstvertrauen |
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9 Verschwiegenheit |
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10 Sehnsucht |
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