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Am Stammtisch des Restaurants meines ehemaligen Vertrauens tummeln sich weitere Protagonisten meiner Hommage an Steinbecks Tortilla Flat.
Die etwas mürrische und rüstige Chefin hat mit weit über Achtzig das Anwesen als Lodge, Bar und Restaurant ganz gut im Griff. Da dennoch kaum mehr Gäste in dem 70er-Jahre-Retro mit Basthüttendach an der Hauptverkehrsstraße zu finden sind, besteht ihre vorrangig Aufgabe darin, möglichst viel Energie zu sparen. Das spärliche Licht im Gastraum lenkt alle Blicke auf einen großen Bildschirm, der in französischer Sprache über alles informiert, was in der Schweiz so passiert und dann gibts noch köstliche indigene Soaps und ein wenig Weltgeschehen. Auch schon mal in fünffacher Wiederholung.
Diese alte Dame hat nun eine Tochter Monika, die vermutlich und nach eigenen Erzählungen ausser Skifahren und einer temporären Gastronomie bei der sie selbst der beste Gast gewesen sein dürfte, noch nicht viel mehr im Leben stemmte. Mangelndes Geben an die Allgemeinheit kompensiert sie mit viel Lautstärke und unterläßt keine Geste, die nicht schreit, wiehert oder auf den Tisch haut. Also verlangt: Nehmt mich wahr. Ob ihr wollt oder nicht.
Des Abends pflegte ich als Nachbar in der gastlichen Stätte noch einen Salat zu mir zu nehmen, bevor ich, nach ein wenig Gewalt in der Welt, wieder zeitig nach Hause ging. Sowohl Bier als auch Wein ließen nicht zu, über den Durst zu konsumieren, da ein unvermeidlich folgender Kopfschmerz zu naheliegend war. Wir reden also nicht über Alkoholgelage, sondern über, nun ja, distinguiertes Essen oder ein Feierabendbierchen. Alles schön geruhsam. Wäre da nicht genannte Tochter, die so weit von Benehmen entfernt ist, wie es weiter nicht geht.
Ihre Zuneigung zu sehr bemitleidenswerten Figuren führt zu Etwas, das sie wie soziales Engagement auffasst. Ein eidgenössischer Vollalkoholiker, der noch ein paar Sprachfragmente aus lang vergangener Zeit zum Besten geben konnte, aber ansonsten nur noch rotzte und sich die Ärmel mit Hustenschleim vollschmierte, wurde von ihr mit Leidenschaft ebenfalls an den Stammtisch gesetzt. Auf meine angewiederte Bitte, er möge sich nach einer Schleimattacke in seine Handflächen hinein, doch bitte die Hände waschen, fuhr sie mich an, ob er mir die Hände geben wolle. Oder was? Das würde mich eine feuchte Scheisse angehen. Überhaupt und sowieso hätte ich wohl eher ein Frauenproblem.
Diese im Mästungsstadium befindliche Furie saß nun wieder einmal am Tisch. Ist sie da, geht mein Blick meist starr in den Monitor. Der von anderen Personen auch. Sitzt sie am Rund redet nur eine Person. Sie. Sie sitzt oft am Tisch. Sie wohnt da. Ein schon im Gange befindliches Gespräch einer kleinen Gruppe von Gästen wird bei ihrer Ankunft übernommen und landet ziemlich obligatorisch bei der Weltherrschaft des Judentums und dass die Rothschilds über sechzig Prozent des Weltkapitals besitzen würden. Nimmt sie nun irgendwann doch wahr, dass alle weghören, sucht sie sich eine einzige Person als Sprach- und Geräuschprojektion. Nicht aber eine Person neben ihr. Nein. Als erste Vorliebe eine Person ihr gegenüber. Mit einem diktatorischen Durchsetzungsvermögen zerschneidet sie wie mit einem Messer jedes andere aufkeimende Gespräch am runden Tisch.
An jenem vorletzten Abend also, war nach einer zunächst diagonalen Zutextung dann doch ihr Nachbar fällig. Ein älterer Tourist, ein letzter Saurier mit Wohnmobil, der, strategisch unvorbereitet, mit dem Rücken zum Fernseher saß. Sie, die sprachgewaltige Furie, rechts neben mir. Rechts von ihr der arme Ältere. Mein Blick möglichst steif in die Lichtquelle der Unterhaltungsindustrie bekam ich dennoch mit, wie sie ihm geradezu auf dem Schoß saß. Unter den Titten hervor lugte ein kleines Gesicht, das immer nur „ja“ „mhmm“, „ja“ „mhmm“, „ja“ sagte und ab und an versuchte den Kopf zum Bildschirm zu drehen. Das ganze Zudröhnen mit Worten muss man sich nun noch vorstellen mit einem schon gekünstelt übertriebenen Gekrächze der Züricher Gegend, bei der sogar noch ein Araber erschreckt. Im Schriftdeutschen „ich“ mutiert dieses von ihr als jedes dritte gebrauchte Wort zu etwas wie: Ichrrrrrrrr. Wobei das „R“ nicht rollt, sondern einem inbrünstigen Schnarchlaut ähnelt. Ichrrrrrrrr.
Derweil bekam ich meinen Salat und gönnte mir heute noch ein Stück Fisch. Da die alte Dame die Angewohnheit hat, ihren fünf Hunden vom Tisch hinweg Häppchen zuzustecken, hatten diese fünf Hunde nun ihrerseits die Angewohnheit, ständig bettelnd bei jedem mit dem Schwanz zu wedeln, der gerade ein Essen bekam. Da Mama ja fünf Hunde hat, muss Tochter auch noch einen Hund beisteuern. Wie es ihrem Naturell entspricht, muss der natürlich größer sein als die Anderen. Dieser viel Größere saß nun neben mir und hechelte über meinen Fisch hinweg. Ein leichtes Schieben mit dem Ellbogen und gutes Zureden half nichts. Keine Hilfe. Auch nicht von der alten Dame. Hunde dürfen das, denn die sind ohnehin besser als die Menschen. Auch wenn sie reihenweise Gäste vergraulen, macht das nichts. Hunde sind auch besser als die.
Wie ich so im dritten Anlauf dem Hund zuflüsterte: „Verpiss dich“, ging plötzlich ein Wortschwall auf mich nieder. Kannst du nicht höflich mit dem Hund reden? Wer bist du? Keine Ahnung von Hunden. Du musst nur einfach „Sitzssss“ sagen, dann sitzt er. Eine ungebremste Beschimpfung vermischt mit überheblicher Belehrung. Das war so ungefähr das, was ich als Amuse Gueule vor Salat brauchte.
Auf meinen Hinweis, er sitze ja bereits und ich will eben nicht, dass er sitzzzzt, sondern dass er sich verpissssst, hatte ich nun als Gast jegliche Kompetenz verspielt. Wieder ein Beschimpfungsschwall. Ich will, himmelarsch, nicht, dass eine Töle in mein Essen hinein atmet. Leck. Mich. Am. Arsch. Diese von mir gewählten herben Impulse sind nun Worte und Phrasen, die sie verstand. Vor versammelter Tischgemeinschaft malte sie deshalb nun aus, wie sie das machen würde. Das hatte sie offensichtlich schon des Öfteren in ihrer früheren Schnapsbar geübt, denn sie konnte es sehr blumig ausführen. Während ich, der Gast, sein Essen vor sich hatte. Das zweite Mal übrigens. Einmal, als ich darum bat, mein erhaltenes Essen ohne ihr aktuelles Thema Scheisse geniessen zu dürfen, verbat sie sich das lautstark, sie dürfe wo und wann und deshalb reden wie sie und über was sie will. Gerade aus Trotz zog sie ihr Thema noch geraume Zeit weiter fort. Die Tochter der Restaurantbesitzerin. Ich starrte auf meinen Teller.
Zurück zum Arsch. In der eingetretenen Eiseskälte mitten in den Tropen verdrückte ich meinen früher ebenso tiefgefrorenen Fisch, der nach Hund und Arschleckmonolog nun gerade noch Zimmertemperatur hatte und meinen Salat. Der Hund war weg. Die Gewalt in der Welt ging medial weiter. Neben mir krächzte es Züricherisch. Eine ordinäre Schnappsbudenlache. Sie, die Tochter, ist die Einzige, die über ihre Witze lacht. Zoten wechselten sich ab mit auf den Tisch hauen. Das macht sie auch gerne. Und oft. Besonders gern, wenn alle von ihr wegschauen. Batsch. Haut sie auf den Tisch und krächzt, der schweizer Minister da im Fernsehen ist aber auch ein altes Arschloch. Harchharchharchharchharch. Batsch. Harchharchharchharchharch. Danach kommt der Versuch, mit der diagonal am weitesten entfernten Person ein Gespräch zu beginnen, das darüber gehen könnte, dass sie es voll Scheisse findet, dass an einem Stammtisch der Fernseher läuft. Die wahren Informationen, auch die über Rothschilds, findet man sowieso nur im Internet.
Die Krönung der Beachtung die einem Gast widerfahren kann, ist, wenn man ihn dafür schuldig erklärt, dass der Laden nicht läuft. Also nicht nur, dass man wie beschrieben zielorientiert weggemobbt wird. Nein, man ist als Einer der Letzten der vom Schiff geht auch noch dafür verantwortlich, dass es gerade untergeht. Mein alleiniges Herumsitzen wäre der Beweis für die Störung meiner Sozialverhalten und dies folgernd atmosphärisch der Grund, weshalb niemand mehr kam. So die aktuelle Interpretation von Frau Tochter. Dass ich nicht ein so gerade mal der Minderjährigkeit entwachsenes Hascherl neben mir drappierte wie die ganzen Rentnerwhities vor Ort, ist nun als Störung meiner Psyche ausgemacht. Die auch noch andere Besucher abstoße. Ganz besonders und namentlich würde ein Herr Rainer nicht mehr erscheinen. Den hätte ich sowieso schon töten wollen. Jawoll. Vor Zeugen. Gewürgt.
Dem Leser ist der Herr bekannt als Psychopath, Hobbymetzger und Gebrauchtwagenhändler. Den also hätte ich im besonderen vergrault. Durch alleiniges Herumsitzen und einen Tötungsversuch.
Das ist schön. Dass ich dazu in der Lage bin. Ich lerne mich ganz neu kennen. Warum die Schnapsdame nun einen sporadisch auftauchenden, mittellosen Gast vorzieht, dem die alte Dame Alice aus Mitleid immer wieder mal ein Bier ausgibt, statt eines zahlenden Gastes wird wohl immer ihr Geheimnis bleiben. Für Jemand der monatelang für kleinen Umsatz sorgte, taucht dann auch schon die alles im Leben entscheidende Frage auf, warum es der nachtretenden Dame zusätzlich so wichtig ist, es anderen mitzuteilen, ich, der nun abwesende Gast, hätte sowieso kein Geld. Was ist der Zweck? Wo ist eine Logik? Fragen, die zu stellen bei manchen Menschen sehr unnötig sind.
Es wird heutzutage immer härter ein Gast zu sein. Was aber bleibt, ist ein Stück Avepozo Flat. Dabei gewesen sein zu dürfen ist Entschädigung für Vieles.
Vielleicht geht die Geschichte weiter? Nicht nur, dass der Gast jetzt weg ist. Er muss mit Hohn getrieben werden. Da wirds noch schöne Blüten geben im Garten der Gerüchte. Heissa. Denn jetzt kam noch Verstärkung. Einen Sohn der Tochter gibts nämlich auch noch. Frisch aus der Schweiz. So einer, den die Engländer Redneck nennen würden. Dem man so eine Vorliebe zur Frakturschrift zutraut und der sein Angeberfahrzeug immer direkt vor dem Eingang von irgendwo auf dem Geweg parkt. Ein Freund von Herrn Reiner, dem Sitzer, Hobbymetzger und Gebrauchtwagenhändler. Er, Maurer. Doch doch, mein Sohn, deinen Freund, gewürgt, vor Allen.
Als nun eines Abends ein aus dem Lokal bekannter Rastamann zu Besuch in meine Einsiedelei kam, erzählte er mir ein wenig aus der Gerüchteküche und dass die Dame Alice doch für nichts was könne. Warum ich denn nicht mehr käme? Ach, dachte ich mir in einem Anfall von Versöhnlichkeit, du musst auch einfach mal vergessen können. Was solls. Auf und An. Den alten Dieseldaimler vorgeglüht und ab gehts. Angekommen und hinein in den Innenhof, dort wo die Besucherdroschken zu stehen hätten.
Hätten.
Geradeaus in meinem Blick das große verrostete Vierradfahrzeug der Frau Tochter. Links, direkt vor dem Eingang, wo sonst, das offene Disco-Jeep-Fahrzeug mit sehr großen Reifen des Herrn Sohnes jener. Sonst niemand.
Doch. Noch einer. Der Kumpel des Sohnes. Der, dessen Hund wir durchgefüttert hatten und der am Tag seiner Ankunft meinen Hausmeister vor der Apotheke anschiss, warum er seinen Hund anspreche, das würd ihn einen Dreck angehen. Ahamed hatte eine kurze Zeit wo er von mir nicht bezahlt werden konnte. Trotzdem brachte er täglich Spaghetti mit Soße, das eindeutige Lieblingsgericht von Rambo. Auch Fleischknochen, von Alice spendiert, und teurer Fraß für Hunde aus dem Supermark hat Ahamed ihm gegeben. Rambo mochte ihn sehr. Dieser unfreundliche Eidgenosse, keines Dankeschöns mächtig, ist nun ebenso eine Bereicherung des runden Tischs?
Schrecksekunde. Rückwärtsgang. Schlechte Rahmung für ein Gespräch mit der Chefin. Platz gemacht für Herrn Rainer. |