The Births of Beings |
Überlegungen zur skulpturalen Keramik von Lawson Oyekan. Arnulf Stößel Lawson Oyekan ist 1961 in London geboren. Seine Kindheit und Jugend aber verbrachte er in Nigeria. Seit 1983 lebt und arbeitet er durchgängig in Großbritannien. 1986 allerdings führte ihn eine Reise erneut nach Nigeria, in deren Verlauf er die Strukturen von Termitenbauten und Bienenstöcken untersuchte. Als ausgebildeter Keramiker und Künstler bedient sich Oyekan ausschließlich der Medien Porzellan und Ton. Ein Künstler afrikanischer Herkunft sieht sich in Europa fast stets mit der populären, darüberhinaus teilweise auch kunstwissenschaftlichen Meinung konfrontiert, die Deutung seines Werkes sei nur dann möglich, wenn man es in Beziehung setze zu den kulturellen Bedingungen seines heimatlichen ethnischen Umfeldes. Dies liegt zum einen daran, daß die moderne afrikanische Kunst seit 1960 tatsächlich Schwierigkeiten hatte, sich vom Zeitalter des Bildes, d.h. den traditionellen skulpturalen Formen, zu lösen, um anschließend in das Zeitalter der Kunst einzumünden /1. Zum anderen waren und sind die Europäer nur allzu gern bereit, der afrikanischen Kunst im allgemeinen eine Bezogenheit auf obskure rituelle und mythische Hintergründe zuzubilligen. Das bisherige Werk Lawson Oyekans umschreibt den gelungenen Versuch, sich konsequent regionaler Bindungen zu entledigen, herausgefordert durch die Wahrnehmung einer universalen menschlichen Problematik. An Hand seiner neuesten Werkgruppe, die Oyekan Trial with Light (Lichtprozeß ) benennt, möchte ich versuchen, seinen künstlerischen Ort mit den Koordinaten Zeit und Raum als ordnende Größen zu bestimmen. Abgesehen von einigen aus Porzellan gedrehten Arbeiten bedient sich der Künstler innerhalb dieser Werkgruppe vornehmlich eines manuellen Aufbauverfahrens mit Ton, das ihn nicht allein an die Grenzen des technisch Möglichen führt, sondern unmittelbar ein Erscheinungsbild besonderer Art ergibt. Wir haben es mehr mit figürlichen Gebilden denn mit Gefäßen zu tun. Das Ensemble bewegt sich formal zunächst im Rahmen einer zylindrischen Grundstruktur, die von Objekt zu Objekt eine individuelle Ausprägung beziehungsweise Beugung durchlebt (Abb.1). Bei größeren Stücken wird dieses Gestaltungsprinzip zugunsten einer eher ovoiden Struktur verlassen, die möglicherweise an Bienenstöcke erinnern soll /2. Auch farblich zeichnet sich hier ein Unterschied ab: Während die zylindrische Struktur eine verhaltene Farbigkeit aus kalkigem Weiß sowie matten Grau- und Ockertönen aufweist, erscheint die ovoide in der natürlichen Färbung des gebrannten Tones (Abb.2). Die Außen- und Innenwandung aller Objekte folgt im Erscheinungsbild deutlich der Methode des Aufbauens, die sich einzelner, teils plattenförmiger Tonelemente bedient (Abb.3). Auf diese Weise wird der Entstehungsprozeß sichtbar festgehalten und mündet als solcher in die formale Präsenz des Stückes: Wir sehen Nähte, die teils auch kleinere Öffnungen freilassen (Abb.4), und folgen fast überall den Bearbeitungsspuren der Hände. Transparenz erlangen auf diese Weise nicht nur die natürlichen Bedingungen des bis an seine Grenzen beanspruchten Materials, sondern auch die existentiellen des Künstlers selbst, dessen menschliche Individualität unmittelbar in die Objekte einfließt. So ist bei etlichen der größeren Aufbauarbeiten Oyekans nicht von der Hand zu weisen, daß sie anthropomorphe Elemente beinhalten. Suggeriert wird dies auch mittels paarig angebrachter Öffnungen unterhalb des Randes, die auf Augen hindeuten (Abb.3 und 5), durch Wölbungen der Oberfläche, die als Brüste zu verstehen sind /3. Hinzu kommen oft hundert von ameisenförmigen, den Körper des Objektes durchdringenden Marken. Zum Äußeren Erscheinungsbild gehören des weiteren lineare Ritzungen sowie Schriftzüge, die teils in Englisch, teils in Yoruba, der nigerianischen Muttersprache des Künstlers, zu lesen sind. Wie es heißt /4, soll der Oberflächendekor Blut symbolisieren, während die Texte Tätowierungen auf dem menschlichen Körper wiedergeben. So gelangte Alison Britton denn auch zu dem Schluß, daß die Personifizierung dieser Gefäßformen zweifelsfrei zum Ausdruck kommt - als Familie sind diese roten Gefäße Beobachter /5. Die Tatsache, daß die wichtigsten Objekte im weitesten Sinne auf die menschliche Form zurückgreifen, verschafft dem Ensemble Trial with Light ( Lichtprozeß ) eine Schlüsselfunktion für die Erschließung des künstlerischen Standortes von Lawson Oyekan. Suchen wir also zunächst im afrikanischen Kontext nach Parallelen zur Assoziierung des keramischen Körpers mit dem des Menschen. Aus ethnologischer Sicht darf für etliche traditionelle Gemeinschaften Westafrikas eine gedankliche Verknüpfung der menschlichen Ontogenese mit der Entstehungsgeschichte des Tongefäßes als erwiesen gelten. Besonders konzentriert findet sich diese symbolische Struktur in jenen Gesellschaften, in denen Schmiede zusammen mit ihren Frauen, den Töpferinnen, als endogame Handwerkergruppe leben /6. Die besondere soziale und rituelle Position des Schmiedes rührt vor allem daher, daß er als Spezialist in der Lage ist, natürliches Rohmaterial mit Hilfe des Feuers zunächst in Eisen und dann in brauchbare Werkzeuge zu verwandeln. Ähnlich transformiert die Töpferin Erde durch Aufbereiten, Formen und Brennen zu Tongefäßen, die dann nicht nur im Alltag, sondern auch im sakralen Bereich eine Rolle spielen. Bei den Dowayo in Nordkamerun etwa war der Schmied darüber hinaus Scharfrichter und Leichenbestatter, während seine Frau, die Töpferin, als Hebamme fungierte. Die eine also brachte Dowayos in die Welt, während der andere sie aus ihr hinwegschickte - wie Nigel Barley es formuliert /7. Es wundert also nicht, wenn der keramische Herstellungsgang mit der Geburt und Entwicklung eines Lebewesens verglichen wird, so zum Beispiel bei den Kurumba in Burkina Faso /8. Das menschliche Individuum durchläuft von der Geburt bis zum Tod verschiedene Entwicklungsstadien, deren Endpunkte jeweils von einem rituellen Übergang in die nächste Phase markiert werden. Letzter Schritt in diesem Prozeß kann die Umwandlung des Verstorbenen in einen Ahnen sein. Assoziiert wird dies alles mit dem Formen, Trocknen und Brennen von Tongefäßen /9. Abgesehen von jener symbolischen Struktur, welche die menschliche Ontogenese zur Entstehung eines Tongefäßes in Beziehung setzt, finden wir in Westafrika auch unzählige Belege von anthropomorphen Applikationen an Töpfen bis hin zu solchen Gefäßen, die insgesamt anthropomorph konzipiert sind /10. Darüber hinaus gibt es Hinweise dafür, daß Oberflächendekore wie Ritzungen und Reliefs als Parallelen zu Skarifikationen /11 und Schmuckelementen am menschlichen Körper verstanden werden /12. Auch ein Blick auf die spezifische Terminologie legt den menschlichen Charakter einzelner Gefäßsegmente nahe: zu hören sind Begriffe wie Mund, Hals, Ohren, Rippen, Bauch und Hintern /13. Wir können also davon ausgehen, daß das Tongefäß im allgemeinen mit dem Menschen assoziiert wird, beziehungsweise in bestimmten Zusammenhängen menschliche Eigenschaften zugesprochen bekommt. Leider ist es nicht möglich, an dieser Stelle die verschiedenen Abstufungen des Grundphänomens in Abhängigkeit vom jeweiligen Zusammenhang zu diskutieren. Festzuhalten bleiben zwei Aspekte, nämlich zum einen die Gleichstellung des individuellen Entwicklungsprozesses mit dem Herstellungsgang des Tongefäßes, zum anderen die Assoziierung des Topfes mit dem Menschen an sich. Es wäre nun allzu vordergründig, würde man versuchen, die anthropomorphe Komponente in Lawson Oyekans EnsembleTrial with Light direkt aus den westafrikanischen Befunden herzuleiten. Ein Blick zurück in die europäische Vorgeschichte lehrt, daß antropomorphe oder durch menschliche Körperformen beeinflußte Keramik im östlichen Mittelmeergebiet bereits in der frühen Bronzezeit, also etwa 2500 v.Chr., nachzuweisen ist /14. Diese Tradition setzt sich fort über die mitteleuropäische Urnenfelderzeit bis hin zu den rheinischen Bartkrügen des 18.Jahrhunderts; und bis heute gebrauchen wir in der deutschen Sprache Begriffe wie Lippen, Hals, Schulter und Bauch zur Bezeichnung einzelner Gefäßteile. Es wäre also nicht verwunderlich, wenn den zitierten afrikanischen Beziehungssystemen vergleichbare Assoziationen bis zum Ende des Mittelalters auch in europäischen Kulturen existieren, zunehmend verdeckt allerdings durch die politisch-sozialen Veränderungen der sich anbahnenden Neuzeit. Immerhin geisterte die Gleichsetzung von Frau oder Jungfrau mit Topf oder Krug noch hin und wieder durch die Kunst des 19.Jahrhunderts. Öffnet sich zudem das Blickfeld für Kulturen außerhalb Afrikas und Europas, so wird man nicht umhin können, in vielen Fällen die Assoziierung des Gefäßes mit dem Menschen zu konstatieren - selbst da, wo Männer das Töpferhandwerk betreiben. Wir haben also in diesem Bereich mehr mit einer anthropologischen Konstante zu rechnen denn mit einem auf bestimmte Kulturareale begrenzten Phänomen. Für die Deutung der anthropomorphen Grundstruktur in derTrial with Light -Familie gewinnt somit folgendes an Relevanz: Im Rahmen dieses formalen Ansatzes bewegt sich Lawson Oyekan räumlich sowohl vom afrikanischen wie auch europäischen Kontext weg hin zu einer universal menschlichen Position. Zeitlich gesehen verläßt er teilweise die Gegenwart und gewinnt an Vergangenheit; dies aber nur, um noch im gleichen Moment nachweisen zu können, daß der von ihm verfolgte Formenkanon zweifelsohne mehr mit Zeitlosigkeit denn mit einem zeitlich fixierten Ort zu tun hat. Oyekans Zeitbegriff ist eher zyklisch als linear, weshalb sich seine Arbeiten auch zunehmend den Bedingungen einer retrospektiven Utopie unterwerfen. Im übertragenen Sinne wären daher Ursprünglichkeit und Existentialität als tragende Nenner für die interpretative Ausgangsposition heranzuziehen. Berücksichtigen wir das Wesen der anthropologischen Konstante, darf Lawson Oyekans Näherung an eine anthropomorphe Grundstruktur nicht als bewußter Versuch gewertet werden, an die spezifischen Traditionen afrikanischer oder europäischer Kulturen zu knüpfen. Vielmehr hat die Bedeutung der Werkgruppe Trial with Light zunächst damit zu tun, daß der Künstler die Erfahrungen seiner individuellen Existenz transformiert in den Wahrnehmungsbereich einer räumlich und zeitlich gebundenen universalen Problematik der Existenz. Die hier sich abzeichnenden Assoziationsketten sind vielfältiger Natur und lassen sich vereinfacht nur anhand der komplementären Kürzel Erde-Mensch, Ich-Wir und Lebenswelt-Transzendenz nachzeichnen.Wir dürfen uns daher auch nicht von der Benennung des Ensembles irritieren lassen, die ihren Schwerpunkt bei der Wirkung des Lichtes setzt. Es ist gerade das Licht oder die Lichtdurchlässigkeit, welche die körperhaft organische Präsenz der Objekte zu durchbrechen hilft und sie gleichsam in einen Übergeordneten Zeit-Raum transzendiert. Wenn Britton meint, wir hätten innerhalb der Gruppe Beobachter vor uns, so ist ihr zuzustimmen; doch wäre zu ergänzen, daß diese Wesen aus einer jeseitigen Sphäre zu uns herüberschauen, sozusagen unter weltzeitlicher Perspektive. So sind diese Stücke denn auch Botschafter einer anderen Welt, einer Welt allerdings, die durchgängig der unseren immanent war und ist - verdeckt durch die Kanalisierung des neuzeitlichen Bewußtseins. Dr. Arnulf Stößel 1 Ich gebrauche hier Formulierungen Hans Beltings (1933:9), mit denen er den mittelalterlichen Bildbegriff (imago) im Gegensatz zum neuzeitlichen Kunstbegriff (Kunstwerk ) einzugrenzen sucht. Im vorkolonialen Afrika gab es ähnlich wie im europäischen Mittelalter keinen Begriff für Kunst in unserem Sinne. 2 Vgl. Johnson (1994:33) 3 Johnson (1994:33) 4 Johnson (1994:33) 5 Britton (1994:62) 6 Im Gegensatz zur Exogamie, die Heiratsverbindungen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen meint, bezeichnet die Endogamie eine Regelung, welche Eheschließungen nur innerhalb einer Gruppe zuläßt. In unserem Fall also können Schmiede nur wieder Töchter von Schmieden heiraten. 7 Barley (1 983:1 3) 8 Stößel (1986:244) 9 Vgl. Barley (1982:97) 10 Stößel (1984:270-310) 11 Beim Skarifizieren werden kleine Schnitte in die Haut gesetzt 12 David/Stemer/Gavua (1988: 365-379); Stößel (1989:100) 13 Stößel (1984:77-78) 14 Vgl. Zahlhaas (1990:24-259.
Literatur Barley, Nigel, 1982: Placing the WestAfrican Potter, In: Picton, John (Hrsg), Earthenware in Asia and Africa. Colloquies on Art & Archaeology in Asia No.12: 93-105. London. Beiting, Hans, 1993: Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst. München. Britton, Alison, 1994: In: The Raw and the Cooked, New Clay Work in Britain. David/Sterner/Gavua, 1988: Why pots are decorated. Current Anthropology 29,3: 365-389. Washington, D.C. Johnson, Pamela, 1994: Dimensions of Light. Crafts Jan/Feb94:30-33. London. Stößel, Arnulf, 1984: Afrikanische Keramik. Traditionelle Handwerkskunst südlich der Sahara. München. Zahlhaas, G., 1990: Keramiken der Prähistorischen Staatssammlung im Internationalen Keramik-Museum Weiden. München. [E] Summary Although Lawson Oyekans work may not be free of the influence of his Nigerian origins, he does try to liberate himself from this bond in the service of universal human problems. He entitled his latest series Trial with Light. It is light which helps to penetrate the corporeality of his objects and to elevate them onto a transcendant time-space plane. Alison Britton said of these objects that it was as if we were confronted with observers,, within the group, but we should add that these beings from beyond are looking over to us, so to speak from a temporal perspective. Thus these pieces are emissaries of another world, but a world that has always been a part of our world-concealed by the canalisation of contemporary consciousness. |