Prof. Dr. Randi Gunzenhäuser. 2005 Die Klang- und Bild-Installation besteht aus fünf Projektionsflächen, die einen fünfeckigen Raum umschließen, ohne dass die Projektionen direkt aneinanderstoßen. Auf jede Fläche wird das lebensgroße fotografische Porträt einer Musikerin oder eines Musikers projiziert, und über jedem Porträt hängt ein Lautsprecher, der seinen Klang gemäß dem Prinzip der Sounddusche in einem der Bildbreite entsprechenden kreisförmigen Feld abstrahlt. Vor jeder Stellwand entsteht demnach ein Klangraum, und jedem abgebildeten Musiker ist seine Komposition zugeordnet. In den Bereichen zwischen den Bildern ist der Gesang kaum hörbar, während sich im Zentrum der Installation die Klangfelder überschneiden und einen fünfstimmigen Chor bilden. |
Die BesucherInnen können entweder direkt vor einem Porträt einer einzelnen Stimme lauschen, sie können zwischen individuellen Stimmen hin und her wechseln und dabei die Stille zwischen den Klangkorridoren durchschreiten, oder sie können in der Mitte der Anordnung alle Melodien zusammen auf sich wirken lassen. Im Zentrum gehen die Kompositionen ineinander über, sie setzen sich aber auch voneinander ab – Übereinstimmungen und Differenzen zwischen Rhythmus, Struktur und Tonhöhe der unterschiedlichen Melodien lassen sich hier vergleichen. |
Für die Versuchsanordnung "Seek Me" hat Angelika Böck mit fünf Sami-Sängerinnen und -Sängern aus Norwegen, Schweden und Finnland zusammengearbeitet: mit Lars Heika Blind, einem Rentierhirten aus Karesuando, mit Ase Marggit Holm, einer Journalistin aus Usjoki, mit Ole Larsen Gaino, einem Rentierhirten aus Kautokeino, mit Anna Berit Peltopera, Schneiderin und Taxifahrerin aus Karasjok, und mit Johan Sara Jr., Komponist und Musiker aus Maze. Das Urvolk der Samen, die sich selbst Sápmi nennen, bildet heute eine ethnische Minderheit in Norwegen, Finnland, Schweden und auf der russischen Halbinsel Kola und besitzt eine eigene Sprache und Kultur. Die Samen pflegen die uralte und einzigartige musikalische Tradition des Joik, eines Obertongesangs, mit dem sie Menschen, Tiere und Landschaften porträtieren. Ähnlich dem alpinen Jodler besteht der Joik aus kunstvoll aneinandergereihten vokalreichen Silbenfolgen, die keinen zusammenhängenden Worttext ergeben und manchmal instrumental begleitet werden, meist aber nicht. Johan Sara jr., dessen Vater und Großvater bereits berühmte Joiker waren, betont, dass ein Joik den Charakter seines Objektes nicht einfach von außen beschreibt: "Ich singe nicht über den Berg, ich singe den Berg; ich singe nicht über den Bach, ich werde zum Bach." Der Joiker erzeugt das Gefühl, dass sein Gegenstand anwesend sei, und versetzt sich in sein Objekt hinein. |
Gegenstand der fünf Kompositionen ist, wie bereits in "StillePost", die deutsche Künstlerin selbst. Ein Joik über eine Person stellt traditionellerweise ein Geschenk an sie dar. Bei "Seek Me" handelt es sich allerdings um eine bezahlte Auftragsarbeit. Über den Joik tritt der Sänger mit dem Objekt in Beziehung, ergründet sein Wesen. |
Der Joik liefert keine Beschreibung einer Person, sondern dient dazu, sich aktiv an sie zu erinnern. Angelika Böck bat jeden der Joikerinnen und Joiker, die sich untereinander kennen, darum, ein musikalisches 'Porträt' von ihr anzufertigen. Um sich mit ihnen bekannt zu machen, hat die Künstlerin bei den Beteiligten gewohnt und sie im Alltag begleitet. Wenn ein Musiker bzw. eine Musikerin sie ausreichend kennengelernt hatte, komponierte er/sie Angelikas Joik. Die deutsche Künstlerin fertigte ihrerseits fotografische Porträts der SängerInnen an. Sie hörte ihre Joiks zum ersten Mal bei der Aufzeichnung im Tonstudio. |
"Seek Me" setzt sich mit der für das ursprünglich nomadische Volk der Samen typischen Form der Personencharakterisierung und des Erinnerns auseinander. Nicht das Gesicht, das in der westlichen Kunst einen zentralen Stellenwert einnimmt, ist für die Charakterisierung durch den Joik ausschlaggebend. |
Vielmehr versucht der Joiker, das Wesen einer Landschaft ebenso wie das eines Menschen auszudrücken, indem er mit seinem Objekt in Kontakt tritt. Das porträtierte Objekt ist gerade dort interessant, wo es auf den Sänger oder die Sängerin trifft, wo es im Miteinander eine Bewegung auslöst, Gefühle und Töne wachruft. In den Melodien lässt sich die Spur des Objektes verfolgen – vielfach wiederholt, immer wieder minimal verändert, ihr Thema umkreisend. Angelika Böck tritt wie in "Frage-ment" und in "StillePost" als Vermittlungsinstanz zwischen Parteien und Kulturen auf. Sie initiierte das Projekt, ist das Objekt der Gesänge, lichtete aber ihrerseits die Sängerinnen und Sänger ab und macht sie zum Teil ihrer Installation und unserer Wahrnehmung. Die BetrachterInnen treten aktiv in die Bereiche zweier Darstellungstraditionen ein, die sich innerhalb der Installation gegenseitig hervorbringen: Die Gesänge rufen Angelika Böck bei ihren musikalischen Namen, Angelika Böck stellt uns die Sängerinnen und Sänger vor und zieht uns in den Kreis der ZuhörerInnen hinein. |