Berliner Morgenpost. 19.10.2003

Presseseite der Galerie Peter Herrmann



Doppelseite

Der Zeuge 1950.

1950. Ein junger Berliner packt. Er will weg. Südafrika. Jürgen Schadeberg ist Fotograf - seine Bilder werden Jahre später um die Welt gehen. Jetzt kehrt er für eine Ausstellung in seine Heimatstadt zurück.

Berliner Illustrirte Zeitung: Sie wurden im März 1931 geboren. Wo lebten Sie in Berlin?

Jürgen Schadeberg: Wir wohnten zunächst in Charlottenburg, in der Nähe des Schlosses. Da war ich so etwa fünf Jahre alt. Meine Mutter, Rosemarie Weidemann, war eine geschiedene Schauspielerin. Mein Vater und meine Großeltern kamen aus Mühlhausen. Ich war das einzige Kind. Wir zogen dann später zum Kurfürstendamm. Nr.133, beinahe an der Halenseebrücke. Das war kurz vor Ausbruch des Krieges. Ich erinnere mich noch an einen Gemüseladen. Der Besitzer besaß ein Taxi. Ich weiß noch genau, wie wir mit dem Taxi herumfuhren, ich saß hinten, und ich sehe bis heute die Bilder von brennenden Häusern vor mir - das war die so genannte Reichskristallnacht. Ich wurde dann schnell selbstständig, meine Mutter war ja immer beim Theater. Mit zehn sollte ich zum Jungvolk. Das gefiel mir gar nicht, besonders die furchtbaren Lieder. Ich habe mich dann geweigert, die Uniform zu tragen. Immer wenn einer vorbeikam und mich abholen wollte, sagte ich, die sei in der Wäsche. Ich hatte rote Strümpfe an, alles war falsch. Irgendwann war es ihnen zuviel, und sie haben mich in Ruhe gelassen. Ich war eben der Rebell.

Haben Sie Erinnerungen an den Krieg?

Ja, an die vielen Luftangriffe. Aber auch an Kohlrüben-Eintopf bei Kempinski. Die Kellner hatten damals große Scheren an einer Schnur, damit schnitten sie dann die Lebensmittelmarken ab. Am Kudamm gab es damals noch ein Hinterhaus und ein Vorderhaus, nicht? Im Hinterhaus spielten die Leute auf dem Schifferklavier und tranken Bier. Im Vorderhaus war es sehr still. Dort habe ich Grammophon gehört - Louis Armstrong, Jazz. Deswegen bekam ich ab und zu Ärger. Mit zwölf, dreizehn merkte ich, dass man nichts gegen die Nazis sagen durfte. Ich kannte auch regime-kritische Studenten, für die ich manchmal auf dem Rad etwas besorgt habe. Eines Tages waren die verschwunden. Ich bastelte mir dann selbst ein Radio und hörte die Voice of America und auch ein deutsches BBC-Programm. Dann kamen die Russen, der Kampf um Berlin. Kurz vor Kriegsende stand jemand mit einer Pistole vor unserem Haus - das gerlücklicherweise nie zerstört wurde - und wollte, dass ich mitkomme, also zum . . .


. . . Volkssturm?

Ja, ja, genau, da war ich 14, der wollte mich und meinen Freund, der war 15, abholen. Mein Freund hatte eine blinde Mutter und flehte ihn an, uns nicht mitzunehmen. Er kam aber wieder, und da sind wir einfach weggerannt. Als dann alles vorbei war, erstaunte es mich vollkommen, dass selbst die Freunde meiner Mutter, Schauspieler und Schriftsteller, also Intellektuelle, dass die sagten, sie hätten keine Ahnung gehabt, was mit den Juden passiert war. Über Konzentrationslager wussten sie nichts. Und das konnte ich nicht verstehen, denn ich wusste es. Da dachte ich mir: Entweder die lügen, oder hier stimmt etwas nicht, oder ich bin ein Genie. Das hat mich unter anderem dazu gebracht, ein paar Jahre später Deutschland zu verlassen.

Aber vorher haben Sie ja noch eine Ausbildung bekommen.

Ich hatte bei einem Fotografen namens Hans-Jürgen Krüger in Berlin gelernt. Fotografieren, entwickeln, eben alles. Ende 1948 kam ich nach Hamburg. Dort wurde ich bald Volontär bei der Deutschen Presse-Agentur. Natürlich ohne Bezahlung. An Wochenenden verdiente ich Geld mit Sportfotografie: Fußball, Ringen, Boxen, Tennis. 1950 bin ich dann nach Südafrika ausgewandert.

Warum?

Meine Mutter hatte einen englischen Offizier geheiratet. Er musste die Armee verlassen, weil er eine Deutsche geheiratet hatte. Also gingen die beiden 1948 nach Südafrika. Im Juli 1950 folgte ich meiner Mutter. Auf der Überfahrt von Southhampton nach Kapstadt verbesserte ich mein Englisch. Dann ging es weiter mit dem Zug nach Johannesburg. In meinem Abteil traf ich einen weißhaarigen, gut angezogenen Mann, etwa 60 Jahre alt. Der sprach fließend deutsch. Ich war hocherfreut. Bis ich merkte, dass ich vom Regen in die Traufe gekommen war: Dieser Mann war ein extremer Nazi, Hitler sein Held. Er hieß Dr. van Rensburg und war der Anführer des "Ossewa Brandwag", der Nazi-Untergrundbewegung Südafrikas. Können Sie sich das vorstellen? Die erste Person, die ich in meiner neuen Heimat treffe, ist ein Nazi. Ich war erschüttert. Andererseits war es ein Geschenk, denn so wusste ich von Anfang an, was in Südafrika los war.

Damals kam die Apartheid ja gerade richtig ins Rollen.

Genau. Ich habe dann angefangen, als Fotograf zu arbeiten und bin dabei auch viel durchs Land gekommen. Einer meiner ersten Aufträge frühte mich zufällig zu einer Asbestmine. Die Arbeiter erzählten mir, wie sie an Lungenkrankheiten sterben, zeigten mir ihre Arbeitsbedingungen. Ich habe das alles fotografiert. Aber als ich das meinem Auftraggeber erzählte, war der furchtbar sauer. Und die Bilder wollte keiner kaufen. Ich merkte, was hier los war.

Und dann gingen Sie zu dem Wochenmagazin "Drum" in Johannesburg.

Die ersten Monate war ich freier Mitarbeiter, die hatten ja nur vier Angestellte. Dann ging es bergauf. Ich lernte dort die ersten intellektuellen Schwarzen kennen, Journalisten. Es gab keine schwarzen Fotografen. Ich habe dann angefangen, die ersten anzulernen. Mit Politik hatte ich eigentlich nichts zu tun, mir ging es allein um die Menschen. Und da war die schwarze Stadtgesellschaft viel dynamischer und moderner. Die kolonialen Weißen waren furchtbar langweilig. Deren Höhepunkt war der wöchentliche Kinobesuch, die Damen trugen lang, die Herren erschienen im dunklen Anzug. Man konnte damals in Johannesburg keine Tasse Kaffee bekommen, es gab nur die ,tea rooms', Teestuben. In Bars wurden nur Männer eingelassen. Und die fluchten ohne Ende. Das war eine richtige Minenstadt. Die Zeitungen berichteten nur über die Royals in London. Die Schwarzen hatten dagegen meine Musik, Charlie Parker, Louis Armstrong, Lena Horne. Durch "Drum" bekam ich Zugang in diese Kreise. Das war wie in einem anderen Land.

Wann haben Sie zum ersten Mal Nelson Mandela getroffen?

Ende 1951. Bei einer Konferenz. Da habe ich ihn zum ersten Mal fotografiert. Ein Jahr später fotografierte ich ihn dann in seinem Rechtsanwaltsbüro im Chancellor House, gegenüber vom Amtsgericht. Ich war damals praktisch der einzige Fotograf, der so etwas machte. Die "weißen" Zeitungen interessierten sich nicht für Schwarze. Sogar viel später, so um 1960 herum, sagte mir der Chefredakteur einer Sonntagszeitung noch: "Herr Schadeberg, so geht das nicht, unsere Leser wollen zum Frühstück keine schwarzen Gesichter sehen!"

Wann haben Sie Mandela zum letzten Mal gesehen?

Vor einigen Monaten. Er lud meine Frau und mich zum Mittagessen ein. Er hat ein sagenhaftes Gedächtnis! Er kann sich an alle Namen von damals erinnern.

1964 haben sie Südafrika verlassen und lebten bis 1985 in London. Warum?

Es war zuviel geworden. Ich konnte nicht mehr weitermachen. Ich war dann auch später in Deutschland, habe dort Auftre für englische Publikationen angenommen. In Berlin war ich schon 1961 gewesen, als die Mauer gebaut wurde. Drei Jahre später fotografierte ich dann eine Geschichte über Juden in Deutschland. 1966 kam eine Geschichte über Neo-Nazis, das hat viel Furore gemacht, weil Paris Match das übernahm. Die letzte Story war dann 1981 - über Punks in Ost-Berlin. Da bin ich jeden Tag zum Bahnhof Friedrichstraße rübergefahren. Nur mit einer Kamera und zwei Rollen Film, wie ein Tourist.

Berlin - was bedeutet das für Sie bis heute?

Es ist seltsam, irgendwie bleibt man immer Berliner. Vor fünf Jahren, im Winter, gingen meine Frau und ich nachts durch die Straßen. Alles war still. Der Schnee dämpfte jedes Geräusch. Um drei Uhr morgens kommen wir um eine Ecke herum, und da ist ein Lokal. Da ist es warm, man sitzt bequem und isst eine Gulaschsuppe. So etwas gibt es woanders gar nicht.

Das Gespräch führte Thomas Knemeyer.

Das Goethe-Institut zeigt die Ausstellung "Beyond Apartheid" mit Fotografien von Jürgen Schadeberg in zwei Ausstellungen:
Vom 23. Oktober bis zum 15. Januar im Goethe-Institut Berlin, Neue Schönhauser Straße 20, Berlin-Mitte. Mo. bis Fr. von 8.30 bis 18 Uhr.
Vom 23. Oktober bis zum 22. November in der Galerie Peter Herrmann, Torstraße 218, Berlin-Mitte. Di. bis Fr. von 11 bis 19 Uhr und Sa. von 11 bis 16 Uhr.
Dokumentarfilme von Claudia und Jürgen Schadeberg zeigt das Kino Arsenal vom 24. bis zum 28. Oktober. Potsdamer Straße 20, Berlin-Tiergarten. Tel.: 030/26 95 51 00