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Guilaine Veh. Photo © Peter Herrmann, 2015 |
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!80 Sängerinnen und Sänger an einem Tag.
Ein Casting-Marathon auf Togoisch. Organisiert auf Initiative der Regierung und gefördert von der größten Telefongesellschaft, fand die vierte Vorauswahl in Lomé statt. Die ersten drei in anderen Städten Togos hatten ähnlich hohe Bewerbungsraten. Da mein Leben bezogen auf zeitgenössische Kunst die letzten zwei Jahre mangels mir Gefallendes etwas unbefriedigend wurde, kam mir der furiose Gedanke, statt dessen vielleicht ein wenig mehr im Bereich der Musik zu machen um wieder einen Fuß in mein eigentliches Metier der Kunstvermittlung zu bekommen.
So begleitete ich meine derzeitige Lebensabschnittsgefährtin als Beobachter zu einem Sängerwettstreit. Mit etwa zwei Stunden Verspätung ging das Ganze los. Von sich sehr wichtig vorkommenden Hostessen wurde ich in diesen zwei Stunden dreimal umplatziert um mich dann viel später wieder an meinem zuerst gewählten Platz wiederzufinden. Scheinwerfer blendeten, ein verschlissener Teppichboden des in die Jahre gekommenen Hotels verursachte Hustenreize und eine Akustik zum Leidtun mit pausenfüllender Musik die in den Ohren brüllte waren die ersten Stimulanzen. Der arme Erste der dann auftrat, hatte denn auch einen fulminanten Stimmversager bei seinem Loblied auf das tolle Togo und dass er ganz ganz arg stolz darauf sei, in diesem tollen Togo geboren zu sein.
Dieses Lied hatte mit der Liebe zu einem Land zu tun und sollte das letzte seiner Art bleiben. Es wurde dann ausgetauscht durch Liebe zu einem jeweils anderen Geschlechtsvertreter und dann zu unendlicher Liebe zu einem Herrn Jesu. Unabhängig von Geschlecht der Interpreten, liebten nahezu alle diesen Mann. Wahrscheinlich Alle. Ich verstand nur ein paar Texte auf Ewe nicht, dem hiesigen Idiom, weshalb ich keine genauen Prozentangaben machen kann. Viele hatten keine organische Pumpe mehr, denn ihr Herz bestand aus Jesu. Immer wenn ich die Texte verstehen konnte, waren sie ausnehmend schlicht.
Wenn Boko Haram auf Haussa bedeutet, westliche Bildung sei von üblem Übel und Musik dürfe nicht mehr gespielt werden, denn sie verletze die Gefühle Allahs, so ist das zwar hochgradig dumm, aber vielleicht waren die Gründer auf einem Casting wie ich es war und trugen irreparable psychische Schäden mit sich. Es war auffällig niemand dabei, der von Habibi und der Größe Allahs sang, obwohl es in Togo etwa genauso so viele Musulmanen wie Christen gibt. Vielleicht weil der erste Preis ein dreimonatiger US-amerikanischer Aufenthalt ist? Am Preisgeld liegt es sicher nicht, der wäre auch für die Anhänger des anderen einzig wahren Gottes interessant.
Es gab neben vielen rein vokalen Darbietungen und ein paar dem Karaoke ähnlichen Backgroundeinspielungen nur zwei begleitende Musikinstrumente. Die Guitarre akustisch vor Mikro und das elektrische Piano jeweils über fehlgesteuerte 32 Kanäle mit einem Apfel-Lap-Top zwischendrin, an dem ein Mann mit Ohrenschützern hing, der sich vor dem Sound durch Beckenbewegungen schützte und oft gar nicht da war.
Französische Liedlein, dem Publikum meist bekannt, das deshalb auch gern mal mitsang, und wenn es modern wurde, ein amerikanischer FunkSoul, immer eines dunklen Interpreten, meist auch dem Publikum bekannt, das dann wieder mitsang. Nicht so richtig modern übrigens. Mehr so klassische Moderne, würde man in der Bildenden Kunst sagen. Es war schwer, vor diesem emotionalen Publikum die unterschiedlichen Stimmqualitäten zu eruieren. Viele anwesende Kinder jeglichen Alters ab zwei Monaten taten ihr übriges. Meist erkannte man schnell, dass der französisch geübte Interpret der englischen Sprache nur wenig oder nicht mächtig war, was den Emotionen jedoch keinen Abbruch tat. Fast erfrischend, wenn eine Sängerin einen konservativen Rückgriff auf Volkstümliches machte und dabei ein dem Dirndl ähnliches afrikanisches Gwandl trug. Anders drapiert, aber gern mit Rüschchen und Schleifchen. Ach ja. Die Jugend. Man erkannte zumindest die männliche als solche, weil sie häufig verbreitet in schicken Jeans mit T-Shirt und Turnschuhen so Bewegungen mit gespreizten Fingern nach vorne machten und sich immerzu auf die Brust schlugen. Dabei gibt es ein seltsames Gewackel mit dem Kopf. War aber eher kein Rap sondern Liedlein.
Soweit ich es durchhören konnte, gab es zwei Eigenkompositionen bei 180 Liedlein. Eines war die schon erwähnte Liebe zu Togo und die zweite hatte etwas mit Liebe zu einer Frau zu tun, die sich in Frankreich im siebten Bezirk zutrug und vermutlich die Weltoffenheit des Interpreten betonen sollte. Der Rest war Orgel, Zupfinstrument und Liebe zu Herr Gott und Herr Jesu in Soul und Gospel obwohl es definitiv nicht ausgeschrieben war, dass dies so gewünscht sei. Amen. Halleluja. Gloria. Übrigens. Auch während ich dies schreibe, zuhause in meinem ruhigen Stadtviertel, schallte es über große Lautsprecher aus der Ferne: Oh Hei Man, hei Man, hei Man. Ich glaube, man schreibt es Amen.
Hoffentlich klingelt es jetzt nicht und die Zeugen Jehovas stehen vor der Tür. Ich würde vielleicht einen Schreikrampf bekommen.
Trotzdem werde ich in sechs Wochen noch einmal ans andere Ende der Stadt fahren um die Auserwählten dieses Durchgangs nun nicht mehr mit einer Minute sondern mit jeweils drei Musikstücken zu hören. Interessiert es im fernen Deutschland jemand? Mit ausbaufähiger Stimme 10, bleiben geschätzt etwa 5 junge Sängerinnen und Sänger mit denen man arbeiten könnte ..... und ihnen klarmachen kann, dass manche persönliche Haltung eine nicht ständig zu transportierende Botschaft sein muss. |
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Teil zwei der Überdosierung Jesus
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Glücklicherweise bei mir fast vor der Haustüre.
160 Sängerinnen und Sänger an zwei Abenden.
So war es geplant.
Und es kam anders. |
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Schon am ersten Abend, am 23. September, fiel der Strom aus. Hätte man nichts mit der Veranstaltung zu tun, wäre dieser Umstand durchaus romantisch, wie man auf obigem Bild trefflich sehen kann. So aber konnte das Fernsehteam nichts aufnehmen und alle angereisten Sängerinnen und Sänger der nördlichen togoischen Hemisphäre wurden auf den darauffolgenden Tag vertröstet. An dem aber auch wieder der Strom ausfiel. Nicht in der ganzen Stadt. Nur auf dem schönen Strand des Pure-Plage Baguida auf dem alles stattfand.
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Als aufmerksamer Betrachter fragte ich mich natürlich, wo denn diese unglaublich aufwendigen Lichtsysteme herkamen und wer die wohl spendiert hat? Eine Wattzahl ging mir rechnend durch den Kopf. Sogar ein riesiger Schwenkarm für eine Kamera war da. Dass sie praktisch nicht zum Einsatz kam, hatte mit dem Licht zu tun. Es wurden zwei notdürftige Lampen so aufgestellt, dass ein Punkt vor der Jury beleuchtet wurde. Da dieses Licht aber zu beiden Seiten der singenden Protagonisten aufgebaut wurde, war fotografieren durchaus schwierig, weil immer eine Lampe fast zwangsläufig im Bildausschnitt auftauchte. Die aufgebauten Kameras konzentrierten sich also fast alle auf das, was mit einer dritten Lampe ausgeleuchtet wurde. Die Jury. Nämlich.
Doch auch ohne Funktion sah das Gestell und die vielen Lampen sehr professionell aus. Das im Bild links zu sehende Werbebanner mit dem TÜV-Rheinland war aber leider nicht sehr würdevoll ausgeleuchtet. Was aber auch nicht so richtig viel ausmachte, war doch die Platzierung und die Gestaltung ebenso wenig würdevoll. Aber immerhin ließ sich nun der Lampensponsor erraten. Ein Generator und Kabel werden wohl nächstes Jahr geliefert.
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Schön war er schon. Der Strand. Bei zunehmender Verdunkelung allerdings auch feucht und windig. Eine alphabetische Abwicklung der Sänger hatte für die Kanditaten von T bis Z denn auch so gegen Mitternacht den erheblichen Nachteil von Kühle. Was das Vibrato durchaus arythmisch beeinflusste. Bei Manchen entstand erst durch das Zittern ein Tremolo.
Einer der Sänger brachte es denn auch auf den Punkt. Er sang davon, dass er von Gott vorbestimmt auf die Welt geworfen wurde und jeder seiner Schritte und jede Begebenheit von jenem vorgeplant war. Was also konnte der Veranstalter oder der TÜV-Rheinland dafür, wenn der Strom nicht für die Lampen reichte? Es war alles für den Sänger vorbestimmt. Herr Gott und Herr Jesu wollen es romantisch. Auch wenn es da wo es drauf ankommt blendet.
Derart präpariert hatte das Publikum auch seinen Spaß. Ob Verspätung, Dunkelheit oder keine Getränke, macht alles nichts. Es wurde mitgesungen und geklatscht, ausgelacht und angefeuert, Kommentare mitten in den Vortrag geschleudert und eigene Favoriten bejohlt.
Neben jenem Publikum und den sangesfreudigen Protagonisten gab es noch einen dritten T-Faktor. Die Jury.
Eine sehr beleibte Dame, für Togo nichts ungewöhnliches, sorgte für permanente Erheiterung. Lob und Tadel gab sie in der Sprache der Ewe zum Besten, was dem fremdländischen Beobachter leider verwehrte, bei ihren offensichtlich feinen Pointierungen mitlachen zu können. Die zwei Herren, die den ersten Durchgang zur Dreieinigkeit komplettierten, verwendeten in ihrem Französisch auffallend häufig das Wort OK, was Rückschlüsse auf den ersten Preis zuließ, der, wie nun schon bekannt, in einem Aufenthalt in den vereinigten amerikanischen Staaten besteht. Alle drei schienen sie einen durchaus kompetenten Eindruck zu machen, der nur dadurch hin und wieder ein wenig geschmälert wurde, wenn sie ein "Ja" für irgendeine Grauslichkeit abgaben. Vermutlich mussten sie jedoch eine Quote erzielen, die nach zwei Durchgängen vermuten läßt, dass immer etwa die Hälfte rausfliegen muss.
Im zweiten Durchgang kam nun als vierte Verstärkung ein sehr gestrenger Herr dazu, der auf die Sänger in autoritär oberlehrerhafter Manie mitunter sehr heftig sprachlich einschlug. Da mir der Sängerwettstreit bisher unbekannt war, war es jener Herr auch. Spontan kam mir der Lichtblick, in diesem Kontext vielleicht besser Erleuchtung zu nennen, dass dieser Herr etwas mit der häufigen Nennung von Gott und Jesus zu tun haben muss. Einmal blökte er eine junge Dame so dermaßen agressiv an, dass sie mit ihrer Scheissstimme kein Recht hätte, Gott den Herrn zu preisen und sie solle sich nie wieder lustig machen über die Größe seiner Göttlichkeit, dass mir fast die Spucke wegblieb.
Wie es nun meine Art als Verschwörungstheoretiker ist, gingen mir die Verbindungen von USA, OK und Gott dem Herrn durch meinen Kopf. Ist es dem strengen weltlichen Juror zuzuschreiben, dass hier niemand über Allahs Größe jodelt? Dass hier niemand eine solistische Einlage des traditionellen Voudou, modern interpretiert, zum Besten gibt? Dass kein einziges Liedlein einen unreligiösen, politischen oder einen kritischen Eindruck hinterließ? Wegen ihm nur christlich-göttlicher Schmalz triefte? Unterstützt vom TÜV-Rheinland?
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Es fiel mir wieder einmal Hegels Philosophie der Geschichte ein, in der er, interessanterweise kurz vor der Vorlesung über Afrika und damals noch ohne die Absicht eine Verbindung aufzuzeigen, die amerikanische Besiedelung behandelt. Er schreibt dort von durchgeknallten christlichen Sekten, deren Philosophie die Grundlage, man beachte, vor 200 Jahren, für eine kriminell zu nennnende Wirtschaft bildete. Hätte mein Ururgroßvater Friedrich, der wackere schwäbische Dialektiker, damals schon ahnen können, dass der ganze calvinistische Kram von Pietkong mit dem Umweg über Amiland dereinst bis in die Heimstatt der Neger* getragen wird? Dass ich als sein Ururenkel bei meinen Überlegungen wohin in Afrika sehr bewusst kein anglophones Land auswählte, weil deren völlig überzogenen Bigotterie, mit Verlaub, an ein Irrenhaus erinnert? Weil genau dort, wo diese Bigotterie herrscht, die meisten Verbrechen stattfinden?
Doch zurück zu unbedarftem Halleluja und Gloria und den jungen Menschen, denen meine blasphemischen Gedanken so fremd wie Hegel sind.
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Dunkle, kleine Spießer. Manche von ihnen in vorauseilendem Gehorsam und Opportunismus schleimig bis fast zur Unerträglichkeit. Doch - und darauf kommt es letztlich an, immer wieder mal unterbrochen von ganz feinen Einlagen. Ein junge Dame, in Polka-Dots recht unpassend bekleidet, gab eine Soul-Einlage zum Besten, dass einem der Unterkiefer stehen blieb. Ein junger Mann, endlich mal nicht wie die meisten in einem falschen Falsett, legte in weichem Tenor eine Ohrenwohltat hin. Wieder eine andere Dame setzte Ton für Ton und hielt mit richtigem Atem die Stimme in jeder Lage.
Mein fast an Masochismus grenzendes Durchhaltevermögen erlebte erste kleine Bonbons und eine Ahnung, dass bei weiteren Ausscheidungsrunden ein paar hervorragende Talente übrig bleiben.
Eine sehr persönliche Favoritin gibt es auch. Auch sie mit einer Stimme ausgebildet in der katholischen Kirche, auch sie in afrikanischer Spiritualität gläubig und einem Repertoir das fast nur aus Gloria in Excelsis Deo besteht. Eine in Togo hängen gebliebene Flüchtlingsfrau aus den vergangenen Wirren des ivoirischen Bürgerkriegs. Eine unterbrochene Karriere, die für dreimal gar nichts ständig nur in Kirchen singt und nicht merkt, dass sie dabei als Künstlerin ausgenommen wird bis auf die Unterwäsche.
Nach der ersten Runde bat ich sie, doch bitte einmal ihre Verkündigungsaufgabe und Ave Maria zu vergessen und sich an internationalen Klassikern zu versuchen. Zuerst war es Angelina. Über die Interpretation von Nana Mouskouri kam sie zu Joan Baez aus ihrer Zeit mit Bob Dylan. Doch dann entschied sie sich für Edith Piaf. Mit dem Buchstaben V kam sie als drittletzte um Mitternacht an die Reihe.
Ihre Interpretation von Non, je ne regrette rien war das professionellste an diesem Abend und schlug das kleine verbliebene Publikum und die Jury restlos in Bann. Kein Gejohle, kein Geschrei ... und dann ein großer Beifall
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Rückgriff in die Sprache der Vergangenheit. So einfach wie bei Pippi Langstrumpf und Jim Knopf wird es bei Hegel, Barth, Einstein kaum mit Begriff abschaffen gehen. Zurück |
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