Der aufgetürmte Korallenkopfschmuck ist ein wichtiges Attribut der so genannten Königinmutter. Als Legende geht die Bezeichnung auf Oba Esigie zurück, der bis 1550 regierte. Er soll seiner Mutter Idia aus Dankbarkeit und Respekt den Titel Iyoba (= Königinmutter) verliehen und diese Darstellungsweise eingeführt haben.
Seit Esigie konnte jeder Oba der eigenen Mutter drei Jahre nach seiner Inthronisierung diesen offiziellen Titel verleihen. Von den 38 Oba der gegenwärtigen Dynastie hätten das jedoch nur 17 geschafft. Die Iyoba besetzte als einzige Frau eines der höchsten Ämter in Benin und konnte von ihrem Sohn - dem Oba - bei allen Staatsangelegenheiten zu Rate gezogen werden. Das bedeutete insofern eine gravierende Veränderung als der Oba mit der Übernahme seiner Ämter die eigene Mutter gewöhnlich nie wieder zu Gesicht bekam. Nach ihrem Tod widmete der Oba ihr einen eigenen Altar, um jährlich Opfer zu bringen. Er errichtete entweder im königlichen Palast oder in der Residenz der Iyoba in Uselu einen Schrein mit entsprechendem Gedenkkopf.
Allerdings weicht dieser Kopf von den allgemein gängigen und oben geschilderten Interpretationen ab, da er offensichtlich eine jüngere Frau, also kaum die Mutter des Königs darstellt. Auch wenn Rangabzeichen darauf verweisen könnten.
Dieses idealisierte Portrait kommte in wesentlich größerer Häufigkeit vor, als in der ethnologisch geprägten Literatur vermittelt wird. Es scheint ein ikonografisch verbreitete Darstellung zu sein, die in vermögenden Haushalten ein Prestigesymbol war. Gesicht, Haube und Tatauierungen auf der Stirn scheinen im Wesentlichen immer diesselbe zu sein. Die Haube gibt die Stirn frei und und baut sich großzügig nach oben auf. Vermutlich ist sie aus einem Netz von Korallen gefertigt, die seit dem 16. Jahrhundert einen gewissen Standart für wichtige Persönlichkeiten zu sein scheinen. An den Schläfen beginnend, hängen um den ganzen Hinterkopf Zöpfchen, bei denen nicht genau zu deuten ist, ob es ein Gehänge der Haube mit Korallenperlen ist oder, weniger wahrscheinlich, eventuell geflochtene Haare. Auffällig, dass die Ohren relativ groß und unrealistisch über den Zöpfchen zu sehen sind. In der Haube sind keine Rosetten eingearbeiten, wie sie bei anderen Darstellungen üblich sind.
Die Narbentatauierungen an der Stirn sind geografischer Verweis und ständischer Hinweis auf den gesellschaftlichen Rang, der hier mit zehn als der höchstmöglichste angenommen werden kann. Vier links und rechts, die jeweils im Guss erhaben berücksichtigt wurden, sowie zwei, bei denen Eisenplättchen eingelegt wurden, die im Laufe der Jahrhunderte bis zu Fragmenten korrodiert sind. Ebenfalls nur noch als Vertiefung sichtbar die Pupillen der Augen, die ebenfalls mit Eisenscheibchen intarsiert waren. Die Form von Augen und Nase sind ein typisches Merkmal des Benin/Bini-Stils, wobei auffällig ist, dass Augen und Mund relativ nah am Realismus liegen, während die Nase eine kühne Abstrahierung erfährt und die Flügel über dem Mund eigentümlich abgeflacht sind.
Der Hals ist eingehüllt in ein Korsett aus Korallen und endet auf einer rechteckigen, nach unten konisch erweiterten Basis. Die Abbildungen auf diesem Sockel sind bei demselben Typus von Frau sehr variabel. In diesem Fall ist auf jeder Seite ein Fisch abgebildet und der Flussboden durch ein Flechtbandornament ausgearbeitet. Es ist nun die vage Vermutung des Verfassers, dass in der Basis ein Verweis auf die Familie des Käufers gemacht wurde um ein Verhältnis zu der idealisierten Person herzustellen. Eine zweite Deutung ist, dass die dargestellte Person mit mehreren Geschichten im kollektiven Gedächtnis vorhanden ist und somit die Darstellung der Fische auf einen historischen oder rituellen Hintergrund verweist.
Der Erhaltungszustand der Bronze ist exzellent und deutet auf einen inhäusigen Familienaltar. Ausser den korrodierten Stellen an der Stirn und in den Augen hat sie keine Beschädigung und hat eine gleichmäßig gereifte und gepflegte Patina. Unter dem Mikroskop sind winzige Farbreste erkennbar, die aber mit der Patinierung verwachsen sind.
Im Internet abgebildet seit März 2016
In einem Rundbrief am 18.5.2016, auch nach Nigeria, zur Kenntnisnahme versandt
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